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Die Landwirtschaft ist in besonderem Maße von extremen Wetterereignissen und Klimaveränderungen betroffen. Hitze- und Trockenperioden, Stark- und Dauerregen gefährden Ernten und degradieren Anbauflächen. Mit fortschreitendem Klimawandel treten Wetterextreme häufiger und intensiver auf. In Zukunft nehmen die bodennahen Lufttemperaturen weiter zu, Tage mit hohen Temperaturen treten häufiger auf, Tage mit geringen Temperaturen werden seltener. Die steigenden Temperaturen und die damit einhergehende höhere Verdunstung führen vielerorts vermehrt zu Bodentrockenheit. Die Niederschläge verteilen sich vermehrt ungleichmäßig über das Jahr und zeigen größere Schwankungen. In Deutschland vielfach angebaute Ackerkulturen wie Weizen, Mais und Raps erweisen sich gegenüber Hitze und Trockenheit verletzlich. Und die Klimaänderungen sind teilweise so ausgeprägt, dass herkömmliche Produktionsmethoden an ihre Grenzen stoßen.

Viele landwirtschaftliche Akteurinnen und Akteure reagieren bislang vor allem kurzfristig und intuitiv auf Schwankungen der Witterungsbedingungen. Vorhersagen des Bodenwasserhaushalts sind bislang häufig zu gering aufgelöst und zu unsicher für die Entscheidungsfindung bezüglich Düngung, Bewässerung und Feldbestellung vor Ort. Weiterhin bleibt oft unklar, welche langfristigen Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel nötig sind, da Klimaprojektionen für die Zukunft mit Unsicherheiten behaftet und nicht auf die Bedürfnisse in der Praxis zugeschnitten sind. Dies betrifft insbesondere die Bestimmung geeigneter Fruchtfolgen, Fragen der Züchtung klimaresilienter Sorten und die Identifikation zukünftiger Anbau- und Testgebiete in der Pflanzenzüchtung.

Praxisgerechte Produkte

Vor diesem Hintergrund macht das von der Helmholtz-Gemeinschaft geförderte Wissenstransferprojekt ADAPTER die Ergebnisse hoch aufgelöster Bodenhydrologie- und Klimasimulationen für Entscheidungen in landwirtschaftlichen Betrieben, der Pflanzenzucht, der Ausbildung und Beratung nutzbar. In enger Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis entwickeln das GERICS (Climate Service Center Germany) des Helmholtz-Zentrums Hereon und das Institut für Bio-und Geowissenschaften (Agrosphäre, IBG-3) des Forschungszentrums Jülich wissenschaftlich fundierte und praxisgerechte Informationsprodukte, die helfen, mit Extremereignissen umzugehen, die Sorten, Fruchtfolgen und Anbauregionen der Zukunft zu bestimmen und die Landwirtschaft nachhaltiger, wetter- und klimaresilienter zu machen.

Die Grundlage hierfür ist auf der kurzfristigen Wetterzeitskala von bis zu zehn Tagen der Aufbau und Betrieb eines deutschlandweiten Vorhersagesystems mit nahezu parzellenscharfer Auflösung. Es basiert auf einem integrierten Hydrologie-Landoberflächen-Simulationsmodell, flankiert von neuartigen Bodenfeuchte-Sensoren auf den Grundstücken beteiligter Landwirtinnen und Landwirte. Auf der langfristigen Klimazeitskala von mehreren Jahrzehnten werden interaktive Entscheidungshilfen bei Fragen der Klimaanpassung für die Pflanzenzüchtung, landwirtschaftliche Beratungskräfte und Ausbilderinnen und Ausbilder bereitgestellt; sie basieren auf einer Vielzahl von regionalen Klimamodellsimulationen für verschiedene Emissionsszenarien bis zum Ende des 21. Jahrhunderts.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten mit ausgewählten Praxisakteuren aus Betrieben, Beratung, Pflanzenzucht und Verwaltung zusammen, um gemeinsam die Informationsbedarfe in der Praxis zu erfassen und prototypische Informationsangebote zu entwickeln. Die Schlüsselpartner des Projekts ADAPTER sind: die NPZ Innovation GmbH, die Gemeinschaft zur Förderung von Pflanzeninnovation e.V. (GFPi), die Zukunftswerkstatt Pflanzenbau (ZWP) Schleswig-Holstein, die Kreisverwaltung Segeberg und die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Der transdisziplinäre Forschungsansatz verbindet theoretisches und praxisnahes Wissen und erlaubt die Gestaltung fundierter und praxistauglicher Informationsprodukte, die auf einer digitalen Online-Produktplattform verfügbar sind (s. Abbildung 1 und Infokasten).

Produktplattform ADAPTER (www.adapter-projekt.de)

Die prototypischen Produkte zur Vorhersage von Wetter und insbesondere "Bodenwetter" und die datenbasierten Klimainformationen sind frei zugänglich über die ADAPTER-Produktplattform-Website www.adapter-projekt.de. Die Produktplattform hat zwei Bereiche mit Informationsprodukten zu "Vorhersagen" und "Klimaanalysen", flankiert von einer thematisch geordneten und kommentierten Linksammlung zu dem Thema.

Im Bereich "Vorhersagen" sind tagesaktuell deutschlandweite Neun-Tages-Vorhersagen zum Wasserhaushalt inklusive Unsicherheitsabschätzungen als Karten und Zeitreihen abrufbar. Die räumliche Auflösung des flächendeckenden Rasters für ganz Deutschland beträgt etwa 600 mal 600 Meter. Weiterhin werden Stations-Meteogramme für ausgewählte Feldstandorte gezeigt, die mit neuartigen Bodenfeuchtesensoren (Cosmic-Ray Neutron Sensoren) ausgestattet sind.

Die "Klimaanalysen" sind als interaktive Klimakarten-Browser, Klimakalender und Wärmebereiche-Viewer sowie einem Dürredossier abrufbar. ADAPTER greift hierfür auf die umfangreichen regionalen Klimasimulationen der europäischen Forschungsinitiative für koordinierte Downscaling-Experimente – kurz "EURO-CORDEX" (www.euro-cordex.net) zurück. Die Karten und Abbildungen sind per Mausklick herunterladbar und dürfen weiterverwendet werden. Alle Abbildungen und Auswertungen sind mit aussagekräftigen Erklärungen und weiterführenden Informationen versehen.

Über einen Schnelleinstieg auf der Startseite zu häufig nachgefragten Themen wie zum Beispiel "Mit welchen Bedingungen muss eine klimaresiliente Pflanzenzucht zurechtkommen?" oder "Wie wird sich die Bodenfeuchte in den nächsten Tagen auf meinem Feld entwickeln?" gelangt der Nutzer direkt zu den entsprechenden Themenseiten.

Präzise Vorhersagen

Die wiederholten Trockenperioden der vergangenen Jahre sowie Auflagen wie durch die Wasserrahmenrichtlinie unterstreichen die Notwendigkeit, flächendeckend den Zustand und die Entwicklung des Wassers im Boden zu kennen und vorherzusagen. In diesem Kontext liefert ein mit 600 Metern sehr hoch aufgelöstes hydrologisches Simulationsmodell nahezu parzellenscharfe, tägliche Informationen zum Bodenwasserhaushalt. Für die Landwirtschaft und das Bodenwassermanagement relevante Größen, wie pflanzenverfügbares Wasser, Sickerwasser, die Änderung des Grundwasserspiegels und des Bodenwasserspeichers, aber auch Verdunstung und die Bodentemperatur werden für verschiedene (Wurzel-)Tiefen berechnet und geben unter anderem Informationen zu Trockenstress, Versickerung und Bodenwasserressourcen.

Die Vorhersagen liefern einen Ausblick für die kommenden neun Tage. Sie liegen als Karten vor, um die regionalen Zusammenhänge und Tendenzen hervorzuheben, und als Zeitreihen, die flächendeckend für Bereiche von drei mal drei Kilometern den zeitlichen Verlauf auf Tagesbasis abbilden. Zur Abschätzung der Zuverlässigkeit der Vorhersagen wird deren Unsicherheit im Rahmen einer sogenannten Ensemble-Rechnung anhand von 50 zusätzlichen Vorhersagen bestimmt (s. Abbildung 2).

Klimakalender

Auch die besten Wetter- und Bodenfeuchtevorhersagen allein helfen nicht ausreichend, wenn der Klimawandel weiter voranschreitet. Denn dann kommen die derzeit etablierten Praktiken der Landwirtschaft an ihre Grenzen. Zusätzliche Extremereignisse wie Hitzewellen oder Dürren mindern bereits jetzt die Erträge. In der Landwirtschaft kommt es ganz besonders auf solche spezifischen Wetterphänomene an, und darauf, in welchem Zeitraum innerhalb des Jahres sie auftreten.

Feldfrüchte wie Raps oder Weizen sind in bestimmten Phasen ihrer Entwicklung gegen bestimmte Wetterereignisse besonders empfindlich. Beispielsweise wirken sich Hitze und Trockenheit während der Blütezeit besonders schädlich auf die Erträge aus. Zu warme Winter beeinträchtigen die Entwicklung von frisch gesätem Wintergetreide und können zur Vermehrung von Schädlingen beitragen. Und zu viel Nässe während der Erntezeit kann die Befahrbarkeit der Felder einschränken.

Um die Anpassung in der Landwirtschaft an den Klimawandel zu unterstützen, sind deshalb nicht nur Aussagen zur jährlichen oder jahreszeitlich gemittelten Klimaänderung notwendig, sondern spezifische Klimakenngrößen, die auf die konkreten Entwicklungsphasen der verschiedenen Kulturen zugeschnitten sind. Der Klimakalender auf der ADAPTER-Produktplattform (s. Abbildung 3) leistet genau das für etwa 50 verschiedene Boden-Klima-Räume in Deutschland. Derzeit sind darin die Kulturen Winterweizen, Winterraps und Mais wählbar sowie zahlreiche Klimakenngrößen für verschiedene Zukunftsszenarien und Zeithorizonte. Die Ergebnisse stammen aus 85 regionalen Klimamodellsimulationen der europäischen Forschungsinitiative für koordinierte Downscaling-Experimente – kurz "EURO-CORDEX". Die statistische Belastbarkeit dieser Auswertung wird mit einfach verständlichen Pfeilsymbolen dargestellt und in den Hintergrundinformationen erläutert.

Der Klimakalender richtet sich an Akteurinnen und Akteure, die Entscheidungen über langfristige Anpassungsmaßnahmen treffen müssen. Beispielsweise könnten Pflanzenzüchter die dargestellten Ergebnisse zur Entwicklung neuer Rapssorten hinzuziehen, die robuster gegen Hitzewellen sind oder deren Blütezeit früher als bisher stattfindet, um so dem Erwärmungstrend zu entgehen. Auch landwirtschaftliche Beratungs- und Ausbildungskräfte können sich anhand des Kalenders ein Bild von den zu erwartenden Risiken machen, um neue Fruchtfolgen oder den Anbau alternativer Kulturen auch im Bewusstsein der Landwirtinnen und Landwirte sowie Verbraucherinnen und Verbraucher zu verankern.

Ko-Kreation nutzen

Bei der Produktentwicklung setzen die ADAPTER Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Ko-Kreation. Der Ansatz verbindet theoretisches und praxisnahes Wissen in neuartiger Weise und erlaubt die Gestaltung fundierter und praxistauglicher Informationsprodukte. Das praxisnahe Wissen steuern Schlüsselpartnerinnen und Schlüsselpartner aus landwirtschaftlichen Betrieben, Beratung, Pflanzenzucht und Verwaltung bei. Aus Expertengesprächen ergeben sich konkrete Fragestellungen in den Bereichen optimiertes Bodenmanagement und Klimaanpassungsmaßnahmen. Durch einen engen Dialog optimiert das ADAPTER-Team das Produktangebot. Das Ziel dabei ist nutzerorientierte Wissenschaft, die Informationen für Praxisakteure nutzbar macht.

Beispiel Klimakalender: Jede Feldfrucht ist für ihr Wachstum im Laufe des Jahres auf passende Witterungsbedingungen angewiesen. Ursprünglich war der Klimakalender nur auf Winterraps ausgerichtet. In der Zusammenarbeit mit verschiedenen Pflanzenzüchtungsunternehmen und landwirtschaftlichen Betrieben wurde der Klimakalender auf Winterweizen und Mais ausgeweitet. Im Dialog mit den Praxisexpertinnen und -experten wurden dazu gemeinsam die kritischen Pflanzenstadien und Klima-Schwellwerte definiert. Darüber hinaus gab es Rückmeldungen zur Verständlichkeit des Klimakalenders und seiner Bedienbarkeit auf der ADAPTER-Produktplattform. Diese wurde vom ADAPTER-Team verbessert, indem interaktive, modular strukturierte und einheitlich designte Werkzeuge gestaltet wurden. Hinzugefügt wurden auf Wunsch auch überarbeitete Pfeil-Symbole zur qualitativen Darstellung von Unsicherheiten und Boxplots zur Darstellung von quantitativen Unsicherheiten.

Nicht nur bei der Produktentwicklung, sondern auch bei der Verbesserung der Vorhersagen wirken Landwirtinnen und Landwirte aktiv mit. Das bestehende Messnetz wird durch Bodenfeuchtesensoren ergänzt, deren Messungen in das Vorhersagemodell eingegeben werden, um lokal angepasste Standortvorhersagen zu berechnen. Durch einen Citizen-Science-ähnlichen Ansatz wurde bei ausgewählten Betrieben eine neuartige Sensorik für kosmische Neutronenstrahlung am Ackerrand installiert. Die Technik erfasst die Bodenfeuchte flächenhaft im Bereich einer Parzelle und verbessert so die örtlichen Vorhersagen.

Dialog erwünscht

Um Wissen und Erfahrungen aus der Praxis in die ADAPTER-Produkte einfließen zu lassen, gibt es eine Umfrage. Das Nutzer-Feedback dient dazu, das ADAPTER-Informationsangebot zu optimieren: Welche der Informationsprodukte der ADAPTER-Plattform finden die Nutzerinnen und Nutzer interessant? Was interessiert darüber hinaus? Wie kann die Benutzung der Webplattform erleichtert werden? Das Feedback hilft, die ADAPTER-Produktplattform an die Wünsche und Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Praxis anzupassen.