Die Bedeutung der Moore für den Klimaschutz ist unbestritten. Bildung und Beratung spielen bei der Transformation hin zu einer nachhaltigen Landnutzung auf Moorflächen eine entscheidende Rolle (Hirschelmann, Abel 2021). Hintergrund sind die überdurchschnittlich hohen Treibhausgas-Emissionen entwässerter Moorböden und der wachsende Handlungsdruck, Wasserstände wieder in Flur anzuheben (vgl. Grethe et al. 2021). In der Folge müssen bisher landwirtschaftlich genutzte Flächen entweder aus der produktiven Nutzung herausgenommen werden oder auf eine andere Nutzungsform umgestellt werden. Die Beibehaltung von Flächen in der Produktion wird oft sowohl aus betrieblicher als auch aus gesellschaftlicher Sicht zur Rohstoffproduktion als wichtig erachtet. Hier bietet sich eine Umstellung auf Nassbewirtschaftung an. Paludikultur (lat. palus = Sumpf) ermöglicht eine land- beziehungsweise forstwirtschaftliche Produktion auf nassen Moorböden bei Erhalt des Torfkörpers (Wichtmann et al. 2016).

Die praktische Umsetzung der Paludikultur steckt jedoch noch "in den Kinderschuhen". Es gibt viele heimische Pflanzenar-ten, die sich für einen Anbau in Paludikultur eignen. Praxiserfahrungen sind jedoch bisher nur in begrenztem Umfang vorhanden. Ein Praxisanbau im Feldmaßstab ermöglicht dabei nicht nur die Erprobung und Erforschung neuartiger Nutzungsoptionen, sondern dient auch als Demonstrationsfläche und Exkursionsziel, um Chancen und Risiken einer Anbaukultur gemeinsam mit Beratungskräften sowie Landwirtinnen und Landwirten zu diskutieren. Von der Planung und Einrichtung über das Flächenmanagement bis hin zur Ernte werden viele Erfahrungswerte bereitgestellt, die potenziellen "Moor-Klimawirten" Entscheidungen erleichtern können.

 

Rohrkolbenanbau

Rohrkolben (lat: Typha) sind einheimische Pflanzenarten, die in Gräben und an Gewässern anzutreffen sind. Charakteristische Wuchsbedingungen sind mindestens flurnahe Wasserstände, Überflutungstoleranz und nährstoffreiche Standorte. Als Kulturpflanze für wiedervernässte Moore hat Rohrkolben ein hohes Wertschöpfungspotenzial, beispielsweise als Rohstoff für Bau- und Dämmmaterial. Außerdem stellen Rohrkolbenkulturen weitere Ökosystemleistungen in den Bereichen Wasserrückhalt, Nährstoffretention und Biodiversität bereit (Pfadenhauer et al. 2001).

Nun wird im Nordosten Deutschlands erstmals im Rahmen des Verbundprojekts "Paludikultur in die Praxis bringen: Integration - Management - Anbau" (Paludi-PRIMA) auf zehn Hektar eine hochskalierte Rohrkolbenetablierung umgesetzt. Die Fläche des Rohrkolben-Praxisanbaus befindet sich auf tiefgründigem Niedermoor und wurde zuvor mit einem Schöpfwerk entwässert. Wie im umliegenden Polder wurde auch dieser Bereich für die Beweidung durch eine Mutterkuhherde und zur Winterfutterproduktion genutzt.

Umsetzungsschritte

Die ersten Herausforderungen für die Anlage des Rohrkolben-Praxisanbaus stellten die Suche nach einer geeigneten Fläche, Planung, Genehmigung und Baumaßnahmen dar. Nach mehr als einem Jahr Vorplanungen mit hydrologischen Machbarkeitsstudien, naturschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrenen sowie der Beantragung einer wasserrechtlichen Erlaubnis konnten 2019 circa zehn Hektar ehemaliges Grünland im Flusstal der Teterower Peene zu einer "Nassen Insel" in einer entwässerten Landschaft verwandelt werden: Eine Verwallung hält das Wasser in der Fläche. Ein Außengraben fängt Qualmwasser auf, um die herkömmliche, entwässerungsbasierte Bewirtschaftung im Rest des umliegenden Polders nicht zu beeinträchtigen. Zum Ende der Vegetationsperiode wurden die beiden Rohrkolben-Zielarten Typha latifolia und Typha angustifolia gepflanzt.

Für die Pflanzung wurden 50.000 Setzlinge von einer auf Wasserpflanzen spezialisierten Gärtnerei geliefert. Diese wurden mit zwei Forstpflanzmaschinen in einem Reihenabstand von zwei Metern und einer Pflanzdichte von 0,5 beziehungsweise einer Pflanze je Quadratmeter gepflanzt. Ein früher Frost im Herbst 2019 sowie ein außergewöhnlich kaltes Frühjahr 2020 schädigten allerdings viele Jungpflanzen. Andere wurden von Vögeln herausgezogen oder abgefressen.

Trotz unbefriedigendem Pflanzerfolg konnte sich durch das Aufkeimen aus der Samenbank in einem Teilbereich der Fläche ein dichter Bestand entwickeln. Eine Saat erscheint daher als vielversprechende Möglichkeit zur Bestandesetablierung. Bereiche, die auch nach der zweiten Vegetationsperiode eher schütteren Rohrkolbenbewuchs haben, sollen nun für gezielte Nachsaatversuche genutzt werden. Erste Saattests wurden bereits 2020 mit einer Drohne durchgeführt. Die Drohne konnte die aufgrund hoher Wasserstände nur schlecht begeh- oder befahrbaren Bereiche erreichen und bietet damit ein innovatives Verfahren für schwer zugängliche Flächen.

 

Wassermanagement

Rohrkolben ist nur für Standorte geeignet, die auch im Sommer nass gehalten werden können. Im Fall des Praxis-Anbaus im Projekt Paludi-PRIMA darf nach wasserrechtlicher Erlaubnis Wasser aus dem angrenzenden Fließgewässer entnommen werden.

Zur Einrichtung der Bewässerungsinfrastruktur wurde ein Mahlbusen mit Steg gebaut. Mithilfe eines Pumpsystems wird bei Bedarf Zusatzwasser in die Fläche hineingepumpt. Da kein Anschluss an das Stromnetz besteht, wurde eine Solarpumpe installiert (Dauerbetrieb). Bei Verdunstungsspitzen unterstützt eine Schmutzwasserpumpe, für die Strom von einem Generator geliefert wird. An zwei Stellen der Verwallung sind Überläufe (Mönche) zur Regulierung des Wasserstandes eingebaut. Hauptziel ist der Wasserrückhalt, zum Beispiel auch im Fall von Starkregenereignissen. Der Wasserstand kann für die Ernte auf unter Flur gesenkt werden, da ein hoher Überstau auch für die erforderliche Spezialtechnik hinderlich ist.

Die erste Mahd der Rohrkolbenkultur soll am Ende der zweiten Vegetationsperiode beziehungsweise nun im Winter 2021/2022 stattfinden. Ein Lohnunternehmen wird eine Häckselernte mit raupenbasierter Spezialtechnik durchführen. Der geringe Bodendruck ermöglicht die Befahrung wassergesättigter Böden. Die Biomasse wird anschließend getrocknet und analysiert sowie durch Forschungseinrichtungen und Unternehmen für unterschiedliche, stoffliche Anwendungen weiterverarbeitet.

 

Flächenmonitoring

Der Praxisanbau wird mit einer Vielzahl an Untersuchungen begleitet. Der Etablierungserfolg und die Bestandesentwicklung werden anhand von zufällig verteilten Dauerbeobachtungsflächen untersucht. Ergänzend erfolgt mit Hilfe von Drohnenbefliegungen eine Einschätzung für die Gesamtfläche und die Entwicklung der Begleitvegetation. Biomassebeprobungen ermittelten für die zweite Vegetationsperiode einen Ertrag von durchschnittlich 2,4 Tonnen Trockenmasse je Hektar im Bereich des gut etablierten Pflanzenbestands (Juli 2021). Das aus der Literatur bekannte Ertragspotenzial von fünf bis 20 Tonnen Trockenmasse je Hektar ist somit noch nicht erreicht und die Etablierungsphase dieser Dauerkultur noch nicht abgeschlossen.

Der Ertrag wird durch Wasser- und Nährstoffversorgung bestimmt. Ein umfassendes Monitoring der Wasserstände wird durch Messgeräte mit Fernmeldefunktion (Logger) ermöglicht. Dadurch kann auch vom Schreibtisch aus entschieden werden, ob der angezeigte Wasserstand verändert werden muss. Monatliche Wasserproben sowie Bodenwasserproben ermöglichen eine Analyse von Veränderungen in der Nährstoffverfügbarkeit. Zusätzliche Untersuchungen zur Treibhausgasbilanz der Fläche sowie zur Biodiversität erfolgen 2021 und 2022 über das Projekt PRINCESS, welches den Rohrkolbenanbau mit anderen Landnutzungsoptionen wiedervernässter Moore vergleicht.

Die ökonomischen Untersuchungen umfassen die Erhebung der Investitions-, Arbeits- und Maschinenkosten sowie eine Abschätzung zu den Erlöspotenzialen. Im Fall des Praxisversuchs erforderte die Umstellung auf den Rohrkolbenanbau er-hebliche Investitionen. Hier waren die Baumaßnahmen zur Schaffung einer "nassen Insel" ein großer Kostenfaktor. Skaleneffekte könnten die anteiligen Kosten reduzieren. Liegt eine Fläche durch Moorschwund unterhalb des zur Bewässerung nutzbaren Gewässers, ist ein freier Zulauf möglich und die Investitions- sowie Managementkosten für das Zupumpen entfallen. Zudem hat sich gezeigt, dass eine Etablierung per Saat potenziell vielversprechender und kostengünstiger sein kann als eine Pflanzung vorgezogener Setzlinge. Einen wesentlichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit werden die neuen Regelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2023 sowie die weitere Entwicklung der Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen haben.

 

Feldtag 2021

Nach zahlreichen Kleingruppenbesuchen konnte im September erstmals eine größere Besucherzahl von rund 170 Personen die vielseitigen Aspekte des Rohrkolbenanbaus kennenlernen. Neben informativen Gesprächen war das Hineingehen in die Rohrkolbenfläche ein Highlight für viele Besucher. Mit Wathosen oder Watstiefeln bestückt, lässt sich die Dichte des Bestandes mit ihren bis über zwei Metern hohen Pflanzen erlebbar machen. An verschiedenen Stationen wurden erste Forschungsergebnisse vorgestellt und diskutiert. Sowohl Ausstellende als auch Besuchende empfanden den direkten Aus-tausch als anregend und motivierend.

Die Rohrkolbenfläche ist ein spannendes Exkursionsziel zur Demonstration einer Umsetzung von Paludikultur in die Praxis. Viele weitere Praxisversuche mit unterschiedlichen Standortbedingungen und auch anderen Paludikulturarten sind nötig. Es braucht dringend mehr agrarwissenschaftliche Forschung zur großflächigen Umsetzung von Paludikultur. Nur mit Untersuchungen im Feldmaßstab können gesicherte Erkenntnisse für eine betriebswirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvolle Nutzung von wiedervernässten Moorböden geliefert werden. Für eine effektive Vermittlung dieser Erkenntnisse braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung, Beratung und landwirtschaftlicher Praxis. Denn gerade Landnutzende müssen als direkt vom Klimawandel Betroffene vorausschauend durch landwirtschaftliche Transformationsprozesse begleitet werden. Nur so gelingt eine erfolgreiche Neuausrichtung auf eine zukunftsfähige Nassbewirtschaftung.

Literatur

Grethe, H.; Martinez, J.; Osterburg, B.; Taube, F.; Thom, F. (2021): Klimaschutz im Agrar- und Ernährungssystem Deutschlands: Die drei zentralen Handlungsfelder auf dem Weg zur Klimaneutralität. Gutachten für die Stiftung Klimaneutralität. Stiftung Klimaneutralität. URL: https://www.uni-goettingen.de/de/document/download/2f622ee40c53637380d318c4c9658728.pdf/Klimaneutralit%C3%A4t_Landwirtschaft_Gutachten.pdf (Abruf: 8.11.2021).

Hirschelmann. S.; Abel, S. (2021): Der Weg zur nassen Moornutzung. In: B&B Agrar 2-2021, 74. Jg., S. 13-15. https://bildungsserveragrar.de/fileadmin/Redaktion/Fachzeitschrift/2021/2021-2/BB_Agrar_2-2021_Der_Weg_zur_nassen_Moornutzung.pdf

Hirschelmann, S.; Schäfer, J. (2021): Faktenpapier zu Mooren und ihrer Rolle in einem Landesklimaschutzgesetz in Mecklenburg-Vorpommern. Greifswald Moor Centrum – Informationspapiere 05/2021, Greifswald. Online: https://greifswaldmoor.de/files/dokumente/Infopapiere_Briefings/20210531_Faktenpapier%20Moorklimaschutz.pdf (Abruf: 5.11.2021)

Pfadenhauer, J.; Bauchhenß, J.; Heinz, S.; Henkelmann, G.; Kamp, T.; Kuhn, G.; Münzer, W.; Ranftl, H.; Wild, U.; Wojtynek, E.; Theuerkorn, W.; Zeller, T. (2001): Rohrkolbenanbau in Niedermooren – Integration von Rohstoffgewinnung, Wasserreinigung und Moorschutz zu einem nachhaltigen Nutzungskonzept. Abschlussbericht zum DBU-Projekt Nr. 10628.

Wichtmann, W.; Schröder, C. & Joosten, H. (Hrsg.) (2016): Paludikultur – Bewirtschaftung nasser Moore: Klimaschutz - Biodiversität - regionale Wertschöpfung. Schweizerbart, Stuttgart.


Links

Paludi-PRIMA-Projekt: https://www.moorwissen.de/prima

Rohrkolben-Praxisanbau: https://www.moorwissen.de/prima_demo

PRINCESS-Projekt: https://www.moorwissen.de/princess/