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Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Verwertung von Abfallstoffen, innovative Produktionssysteme wie "essbare Wälder", Lebensmittel aus dem 3D-Drucker und vieles mehr – die Palette des neu gegründeten Forschungsschwerpunkts (FSP) "Nachhaltige Ernährungssysteme" an der Hochschule Rhein-Waal (HSRW) ist vielfältig.

Im FSP werden laufende Forschungsarbeiten und die Expertise zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschule an den Standorten in Kleve und Kamp-Lintfort auf dem Gebiet der nachhaltigen Naturressourcenbewirtschaftung, Ernährung, Gesundheit und der Bioökonomie zusammengeführt. Ziel ist es, zukunftsweisende Forschungsthemen strategisch weiterzuentwickeln, nach außen sichtbar zu machen und an Lösungen für zukünftige Herausforderungen mitzuwirken. Ein Fokus liegt hierbei jeweils auf dem Systemansatz, sodass die komplexen Wechselwirkungen besser berücksichtigt werden können.

Für die Umsetzung hat sich der FSP insbesondere auf die Fahnen geschrieben nicht nur theoretisch, sondern vor allem in Zusammenarbeit mit regionalen Akteurinnen und Akteuren zu erforschen, wie Ernährungssysteme in Zukunft nachhaltiger gestaltet werden können. Ein Schwerpunktthema hierbei ist der Komplex "angepasste Agroforstsysteme", mit welchem sich in den nächsten Jahren zahlreiche Kooperationen und interdisziplinäre Forschungsprojekte beschäftigen werden. Agroforstsysteme bezeichnen landwirtschaftliche Produktionssysteme, welche Elemente des Ackerbaus und/oder der Tierhaltung mit solchen der Forstwirtschaft kombinieren. Diese bergen ein großes Potenzial für die Zukunft der Landwirtschaft.

Großes Potenzial

Traditionelle landwirtschaftliche Systeme und der herkömmliche Ackerbau stehen vor großen Herausforderungen: Nicht nur die Folgen des Klimawandels mit seinen extremer werdenden Wetterbedingungen machen den Landwirtinnen und Landwirten zu schaffen; auch die gesellschaftlichen Bedingungen – wie etwa staatliche Subventionen und gesellschaftliche Erwartungen an die Landwirtschaft – ändern sich. Agroforstsysteme werden als ökologisch vorteilhafte Alternative angesehen, da sie beispielsweise den Boden vor Erosion schützen, den Wasserhaushalt stabilisieren, zum Erhalt der Biologischen Vielfalt beitragen oder auch alternative Einkommensquellen generieren können. Allerdings bestehen noch größere Unsicherheiten, welche Kombinationen von Ackerbau und/oder Tierhaltung unter Einbeziehung von Bäumen und Sträuchern sich als besonders wirkungsvoll erweisen würden, insbesondere auf regionaler Ebene.

Vor diesem Hintergrund strebt der FSP daher an, ein breites regionales Netzwerk am Niederrhein zu schaffen, um regional angepasste Agroforstsysteme zu entwickeln und wissenschaftlich zu begleiten und somit für die Erzeugung von nachhaltigen, gesunden Lebensmitteln und biogenen Rohstoffen zu sorgen sowie die Biodiversität in Agrarlandschaften zu erhöhen. Die Konzeptionierung geeigneter Agroforstsysteme für die Region Niederrhein soll vorangetrieben werden. Interessierte landwirtschaftliche Betriebe können die Erkenntnisse nutzen und werden bei der Umsetzung unterstützt. Hierzu zählen beispielsweise die Identifizierung geeigneter Baum- und Straucharten, inklusive deren räumliche Anordnung und die Entwicklung von Bewirtschaftungskonzepten – unter Berücksichtigung der sich verändernden klimatischen Verhältnisse sowie des Vermarktungspotenzials neu generierter Produkte.

Für bereits etablierte Agroforstsysteme in der Region bestehen weitere Forschungsfragen im Bereich Evaluation möglicher Ökosystemleistungen wie zum Beispiel über die Analyse der Diversität von Flora und Fauna inklusive der Bodenbiota. Des Weiteren sollen Technologien für ein effizientes Flächenmanagement der Systeme, zum Beispiel über Remote Sensing oder Robotik, untersucht werden oder auch regionale Wertschöpfungsketten zur Inwertsetzung generierter Produkte sowie sozioökonomische Wirtschaftlichkeitsanalysen durchgeführt werden.

Laufende Projekte

Prof. Dr. Florian Wichern, Professor für Bodenkunde und Pflanzenernährung, betreut einige der bereits laufenden Projekte dieser Art am Niederrhein bei der Konzeptionierung und den begleitenden wissenschaftlichen Untersuchungen. In diesem Kontext wird derzeit beispielsweise ein kleines Reallabor auf einer Streuobstwiese, auf der Schafe und Ziegen weiden, aufgebaut und mit einer Wetterstation ausgestattet. Das geplante Highlight für Tierfans: eine Eulenwebcam, um die ökologische Relevanz der Agroforstsysteme aufzuzeigen. Professor Wichern geht es bei Projekten wie diesem darum, einerseits von existierenden Systemen zu lernen und andererseits daraus Erkenntnisse abzuleiten, um sie weiterzuentwickeln: "Während in den Tropen und Subtropen in den letzten Jahrzehnten intensiv an agroforstlichen Systemen geforscht wurde, gibt es in Europa und Deutschland einen großen Nachholbedarf. Als international bestens vernetzte Hochschule können wir bei der Anpassung der vorhandenen Technologien an die Bedingungen der gemäßigten Breiten eine aktive Rolle spielen", so Wichern.

Auch der ökologische Landwirtschaftsbetrieb Berkhöfel profitiert von der Zusammenarbeit mit der Hochschule am Niederrhein. Dort werden im Herbst auf zehn Hektar Fläche neue Hecken und Baumreihen gepflanzt. Dabei ziehen sich Reihen verschiedener Obst- und Nussarten, kombiniert mit weiteren Gehölzen, durch die Ackerfläche. Dies soll die Biodiversität erhöhen, die Ackerkulturen vor extremen Wetterereignissen schützen und das Einkommen diversifizieren. Besonders spannend für die Forschung sind auch die vorhandenen 50 Hektar Streuobstwiese des Hofes. "Dass sich solche Systeme förderlich auf den Boden auswirken, das Einkommen der Betriebe diversifizieren und zudem Lebensraum für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren sind, ist weithin bekannt. Wir wollen mit unseren Versuchsflächen und durch die Begleitung bei der Umstellung der Betriebe diese Effekte für konkrete Agroforstsysteme unter hiesigen Bedingungen bestimmen und damit die positiven sozialen und ökologischen Leistungen der Landwirtschaft quantifizieren helfen", so Prof. Dr. Dietrich Darr, Sprecher des Forschungsschwerpunktes.

Weltweite Erfahrungen

In die regionalen Bestrebungen und Entwicklungen hinsichtlich angepasster Agroforstsysteme am Niederrhein werden auch die weitreichenden Erfahrungen, welche die HSRW und der FSP bereits auf internationaler Ebene bei der Erforschung von Agroforstsystemen geleistet haben, einfließen. In Ostafrika beispielsweise laufen einige Projekte, um die nachhaltige Nutzung des Affenbrotbaumes voranzubringen, welcher ein oft integraler Bestandteil von landwirtschaftlichen Systemen in ariden Gebieten Subsahara-Afrikas ist. Forschungsaktivitäten fokussieren hier beispielsweise auf der Qualitätsverbesserung generierter Produkte, die Nutzung von Restströmen oder den Aufbau lokaler Verarbeitungsstrukturen, um einen Mehrwert für die Lokalbevölkerung zu generieren.

Ähnliche Aktivitäten wurden auch in Zentralasien durchgeführt, beispielsweise wurden hier Früchte von noch unternutzen Baum- und Straucharten auf ihre Nährstoffzusammensetzung untersucht und Produktkonzepte entwickelt. Darauf aufbauend sollen in einem nächsten Schritt passende Agroforstplantagen und Obstplantagen konzeptioniert werden, weiter an innovativen Lebensmittelprodukten aus diesen Systemen geforscht werden sowie die Wirtschaftlichkeit über verschiedene Ansätze verbessert werden, wie zum Beispiel durch erhöhte Reststoffnutzung, Verbesserung der Vermarktungswege oder Erschließung attraktiver Marktnischen für Agroforstprodukte.

Ansprechpartner und weitere Informationen zum Forschungsschwerpunkt "Nachhaltige Ernährungssysteme": Prof. Dr. Dietrich Darr, Professor Agribusiness an der Hochschule Rhein-Waal, Fakultät Life Sciences, foodsystems@hochschule-rhein-waal.de; Website: http://foodsystems.institute/.

In Brasilien liegt der Fokus auf der Cerrado-Region, welche stark durch die landwirtschaftliche Expansion in Monokulturen und Waldumwandlung hinsichtlich zu intensiv bewirtschafteter Weiden bedroht ist. Der Forschungsfokus des FSP hier liegt darauf, wie die Nachhaltigkeit in der Cerrado-Region über die Förderung autochthoner silvopastoraler Systeme gesteigert werden kann, welche unter den gegenwärtigen Bedingungen finanziell weniger rentabel als intensiv bewirtschaftete Systeme sind. Insbesondere sollen, um zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit beizutragen, Ökosystemleistungen quantifiziert und valorisiert werden, um diese später monetarisieren zu können, beispielsweise über Produktetiketten und Zertifizierungsmechanismen. Von diesen Erfahrungsschätzen und den verschiedenen angewandten Forschungsmethoden soll auch das regionale Netzwerk am Niederrhein hinsichtlich angepasster Agroforstsysteme profitieren.