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Interview

Die neuen Regelungen zur reformierten GAP-Förderung ab 2023 haben auch im AGGL-Beratungsteam die Zahl der Anfragen aus den Betrieben deutlich wachsen lassen. Mit welchen Problemen haben sich Landwirtinnen und Landwirte bei Ihnen gemeldet?

Reimund: Als Beratungskräfte begleiten wir einige Betriebe bereits in der zweiten oder dritten Generation. Da ist es nicht verwunderlich, dass wir auch Anlaufstelle für Fragen sind, die nicht unmittelbar mit dem Wasserschutz zu tun haben. Auf diese Intensität komplexer Fragen in Zusammenhang mit den neuen GAP-Regelungen und der Antragstellung waren wir aber nicht vorbereitet. Zu pflanzenbaulichen Fragen kommen nun Fragen, die mit gesetzlichen Rahmenbedingungen verknüpft sind. Auf den Höfen wächst die Sorge vor Sanktionen oder Kürzungen der Direktzahlungen, weil Vorgaben aus der GAP sich nicht oder nur schwer in der Praxis umsetzen lassen. Typisch sind etwa Fragen an unser Beratungsteam zum Zeitpunkt einer Düngung, zur Bodenbedeckung oder zu Abstandsregeln.

Bitte nennen Sie ein paar Beispiele aus Ihrer Beratungstätigkeit.

Reimund: Ein aus unserer Sicht besonders unverständliches Beispiel sind die Abstandsregeln für wasserführende Gräben oder Fließgewässer. Nach dem hessischen Wassergesetz reden wir von vier beziehungsweise fünf Metern Abstand. Dann gibt es die Abstandsregelung nach § 4a Pflanzenschutzanwendungsgesetz mit fünf oder zehn Metern. Laut Wasserhaushaltsgesetz § 38a soll der Abstand ab Böschungsoberkante größer als fünf Meter sein. Nach den "Standards für die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichem und ökologischem Zustand" – GLÖZ 4: Schaffung von Pufferstreifen – ist eine Abstandsregelung von drei Metern vorgesehen. Da stellt sich dann die Frage an uns als Beraterinnen und Berater: Was trifft für den Landwirt, der gerade am Telefon ist, auf seine jeweilige Fläche zu? Da müssen wir erst einmal recherchieren. Und dann bleibt auch bei uns die Unsicherheit: Haben wir das richtig ausgelegt, ist unsere Empfehlung rechtssicher?

Ein weiteres Beispiel sind Zwischenfruchtanbau und Winterbegrünung – eine zentrale Frage im Grundwasserschutz. Die Vorgabe nach GLÖZ 6 ist eine Mindestbodenbedeckung in der vegetationslosen Zeit von mindestens 80 Prozent der Ackerfläche vom 15. November bis zum 15. Januar. In unseren Schutzgebietskooperationen waren wir da schon weiter. In drei Jahrzehnten haben wir es geschafft, dass in unserem Beratungsgebiet flächendeckend Zwischenfrüchte angebaut wurden – fast 100 Prozent Bedeckung. Durch angepasste Gemenge und frühe Aussaattermine hatten wir üppige Bestände, die in der Lage waren, große Stickstoffmengen zu konservieren. Jetzt erleben wir, dass GLÖZ das Zeitfenster für den Zwischenfruchtanbau in unserem Beratungsgebiet, dem "vorderen Odenwald" mit Weinbauklima, langer Vegetationsperiode und ohne strenge Winter, reduziert. 

Ein drittes Beispiel möchte ich nennen, dass in unserer Beratung vor Ort eine Rolle spielt: Im Greening war der Zeitraum für die verpflichtende Winterbegrünung länger und ein Gemengeanbau von mindestens zwei Arten erforderlich. Durch das Forschungsprojekt CATCHY sind die Vorteile von artenreichen Zwischenfruchtmischungen für Bodenschutz, Pflanzengesundheit und Fruchtfolge wissenschaftlich erwiesen. GLÖZ geht aus unserer Sicht fachlich einen Schritt zurück, weil der Gemengeanbau nicht länger erforderlich ist.


Gewässerschutzberatung

Die Arbeitsgemeinschaft Gewässerschutz und Landwirtschaft (AGGL) berät im Auftrag von Kommunen und Wasserversorgern Landwirte in Wasserschutzgebieten zum vorbeugenden Gewässerschutz und entwickelt und betreut Kooperationen zwischen Wasserversorgern und Landwirtschaft in drei südhessischen Landkreisen. Das Land Hessen hat die AGGL im Jahr 2011 mit der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) beauftragt. Seitdem werden flächendeckend in 145 Gemarkungen in den Kreisen Bergstraße, Odenwald und Darmstadt-Dieburg landwirtschaftliche Betriebe zur gewässerschonenden Bewirtschaftung beraten. 


Wie beeinflussen die vielen Nachfragen Ihre beratende Tätigkeit?

Reimund: Wenn es über den fachlichen und pflanzenbaulichen Bereich hinausgeht, sind wir unsicherer geworden. Wir wollen keine Falschaussagen treffen, deshalb sind oft keine direkten Antworten zu Fristen und Vorgaben möglich. Wir rufen dann gerne zurück, damit wir die Möglichkeit haben, uns selbst schlau zu machen. Dass wir uns zunehmend mit solchen Fragen auseinandersetzen müssen, bindet viel Zeit außerhalb unserer Kernkompetenz, der Wasserschutzberatung.

Wie ist die Reaktion vonseiten der Landwirtschaft? 

Reimund: Südhessen ist traditionell durch einen hohen Anteil an Nebenerwerbslandwirten geprägt. Diese sind vielfach bereits vorher schon mit der Dokumentation nicht hinterhergekommen, weil die Dokumentationsverpflichtungen stetig zunehmen. Jetzt stehen sie vor mehr Vorgaben und noch mehr Dokumentationen. Die Sorge vor Kontrollen und ob man sich noch im rechtssicheren Raum bewegt, ist groß. Fachlich sind unsere Landwirtinnen und Landwirte top qualifiziert. Sie sind gute Pflanzenbauer, Milch- oder Fleischerzeuger. Die vielen Vorgaben, die sich oft kaum in die Praxis umsetzen lassen und die sich viel zu schnell ändern, lassen den Frust im Berufsstand und auf den Höfen wachsen. Einige Landwirte sind mit GLÖZ und Konditionalität schlicht überfordert und am Verzweifeln, andere sind wütend und lassen den Frust auch schon mal bei uns am Telefon ab. Und es gibt welche, denen GLÖZ und GAP egal geworden sind. Die machen ihr Ding, bisweilen sehr rücksichtslos und sind für die Beratung kaum erreichbar.


Forschungsprojekt CATCHY

CATCHY steht für "Catch-cropping: an agrarian tool for continuing soil health and yield-increase". Es geht dabei unter anderem um artenreichen Zwischenfruchtanbau, siehe auch https://www.praxis-agrar.de/pflanze/ackerbau/forschungsprojekt-belegt-vorteile-fuer-zwischenfruchtmischungen/


Welche Ideen haben Sie, um die Situation zu verbessern? 

Reimund: Bei neuen Verordnungen und Gesetzen sollte bedacht werden, wie diese in der Praxis umgesetzt werden können. Eine weitere Verbesserung wäre es, wenn die Gesetzgebung in längeren Fristen denken würde. Landwirtschaft handelt in zeitlich anderen Dimensionen als manche Fördermaßnahme. Wenn eine Verordnung noch nicht einmal über zwei Fruchtfolgen Bestand hat, wird es schwierig, mehrgliedrige Fruchtfolgen umzusetzen. Außerdem wäre es von Vorteil, wenn Nomenklatur und Terminologie weniger häufig wechselten. Fast ein Jahrzehnt hat es gedauert, bis sich die Begriffe 'Greening' oder 'Cross Compliance' bei den Landwirten durchgesetzt haben. Jetzt sind Auflagen der ‚Konditionalität‘ zu erfüllen. Es wäre sinnvoll, Begriffe beizubehalten und nur die Inhalte anders auszugestalten.

Was wünschen Sie sich, beziehungsweise was würde Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Beratung vor Ort helfen?

Reimund: Mehr Stabilität, Kontinuität und Praktikabilität. Einfache, übersichtliche rechtliche Vorgaben, die vor Ort gut umgesetzt werden können. Kurz: Gesetze und Vorgaben, die verständlich sind. Und wenn Rahmenbedingungen geändert werden, dann mit mehr Vorlauf. Die aktuelle Förderperiode dauert von 2023 bis 2027, das sind nur vier Jahre. Wenn sich ein Betrieb für die "vielfältige Fruchtfolge" entscheidet, braucht er dafür auch tragfähige Vermarktungsstrukturen. Diese können nicht nur für vier Jahre aufgebaut werden. Bei Investitionen in Gebäude und Technik braucht es sogar noch viel mehr Zeit. Ein weiterer Vorschlag:  Wie im Beispiel der Abstandsregeln gezeigt, gibt es unterschiedliche rechtliche Vorgaben zu gleichen Sachverhalten und auch Fälle, in denen verschiedene Bundesländer ganz unterschiedlich damit umgehen. Das erschwert die Beratungsarbeit und sollte vermieden werden.

Wie gehen Sie in der Beratung mit den geschilderten Herausforderungen um?

Reimund: Wir sind als Beratung tatsächlich ganz dicht an und bei den Betrieben. Was uns überfordert ist nicht die Menge der Betriebe, die wir beraten. Wir versuchen einfach die Betriebe zu entlasten, indem wir durch das Vorgabendickicht navigieren und bei der Dokumentation unterstützen. Und manchmal bitte ich die Menschen von den Höfen einfach nicht zu fragen, weil die Antwort auf ihre Frage so schwer zu geben wäre.